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„Wer in Ihnen war da so sauer?“ – Teilearbeit in Eheberatung und Paartherapie der Erotik

„Wer in Ihnen war da so sauer?“ Mein Klient schaut mich fragend und leicht irritiert an. Ich wiederhole meine Frage.
„Wie meinen Sie das?“, fragt er zurück.  Das Paar hatte mir gerade eine Situation geschildert, die beide völlig unterschiedlich wahrgenommen hatten. Der Mann hatte gesagt: „Ich war ein bischen verärgert“ und die Frau hatte angemerkt: „Verärgert? Du warst voll akro, noch am nächsten Tag, ungenießbar!“

Ich merke an: „Es gibt offensichtlich mindestens zwei in Ihnen? Einer der ein bischen verärgert war und einen anderen, der richtig sauer war und das auch deutlich gezeigt hat. Deswegen meine Frage.“

Mein Klient schaut mich interessiert, gleichzeitig auch verständnislos an. Ich beschließe, der Spannung ein Ende zu bereiten, schließlich möchte ich ihn für unsere Zusammenarbeit gewinnen und nicht unnötig irritieren. Ich erkläre: “ Schauen Sie, wir sprechen immer von Ich und glauben an eine Einheit, die authentisch für uns spricht. Diese Einheit gibt es aber so nicht, wir müssen sie uns eigentlich wie unsere Bundeskanzlerin in der Griechenland-Krise vorstellen. Sie regiert unser Land und vertritt es nach außen, und sie legt (hoffentlich) eine Strategie fest. Aber die innerpolitischen Konflikte, die unterschiedlichen Stimmen und Absichten der verschiedenen Regierungsmitarbeiter, die unterschiedlichen Bedürfnisse sowie die Arbeit der Lobbiisten dringen nicht unbedingt nach außen.“ Gerade gestern hörten wir doch…ein ernstzunehmendes Angebot…was wir sorgfältig prüfen…bla bla… es bleibt harte Arbeit… wir haben wenig Zeit…bla bla…wir werden alles für eine einvernehmliche Lösung tun…bla bla. Was sich in Brüssel wirklich abspielt, erfahren wir nicht.
So ungefähr ist es auch mit unserem Ich, sagt das Konzept der Teilearbeit. Das Ich ist unser Pressevertreter nach außen und wenn wir von Ich sprechen, dann klingt das so, als wären wir immer einig mit uns selbst. So ist es aber nicht. Innerhalb unseres Ich gibt es eine Menge Stimmen oder Anteile, die teilweise erbittert miteinander kämpfen und ringen. Andere unterstützen und fördern sich. Wie in der Politik gibt es Parteien und Ausschüsse, Feindseeligkeiten und Kooperationswünsche.
Schulz von Thun, ein inzwischen erimitierter Professor der Psychologie aus Hamburg nennt diese Stimmen oder Anteile das innere Team. Er hat dazu ein gleichnamiges und gut verständliches Buch geschrieben, für diejenigen unter Ihnen, die Lust haben weiter zu lesen.

Das Paar schaut mich interessiert an. Ich frage noch einmal: „Wer in Ihnen war da so sauer?“ Der Mann meint: „Das ist ganz schön schwierig. Ich glaube, der der so sauer war, der macht mich aus. Der schaut von oben auf mich drauf, dem geht es nicht schnell genug mit meiner Veränderung. Der ist unerbittlich.“
Wir suchen nach Bildern für die Figur, die er beschreibt.  Häufig wählen Klienten Figuren aus Märchen, bekannten Filmen oder ihrem Bekanntenkreis. Eine häufig bei Frauen vorkommende Figur stelle ich Ihnen jetzt vor.

Kennen Sie noch Frau Rottenmeier aus der Erzählung „Heidi“, jene farblose aber strenge Gouvernante, die Klara und Heidi das Leben in Frankfurt schwer machte. Diese Frau Rottenmeier lebt in vielen von uns Frauen, geschlechtslos, auf die Pflicht pochend, selbstverständlich immer sehr korekt gekleidet, vorzugsweise in Grautönen und frisch gebügelter weißer Bluse, eine strenge Frisur und eine gewisse Humorlosigkeit runden das Bild ab. Frau Rottenmeiers Botschaft: Es lebe die Pflicht, Disziplin ist eine Tugend, Selbstkontrolle ein ehrenwertes Ziel. Diese Botschaften gepaart mit deutscher Gründlichkeit lassen keinen Zweifel an Frau Rottenmeisers Absichten.

Ich entwickle absichtlich hier ein Bild mit Ihnen, so dass Sie förmlich spüren wie Frau Rottenmeier in Ihnen tickt. Ich frage nach Kleidung, Bewegung und Stimme sowie typischen Sätzen bis das Bild ganz präsent ist. Und dann frage ich nach Frau Rottenmeisers Meinung zu einem wichtigen Thema die Eheberatung betreffend. „Frau Rottenmeier, wie finden Sie es, wenn Ihr Mann Ihnen zeigt, dass er Sie begehrt?“ „Da schüttelt es mich, ich finde das ekelig. Muss der sich so gehen lassen? Es gibt doch wirklich Wichtigeres im Leben.“ Und etwas milder: „Meinetwegen, wenn die Arbeit gemacht ist. Aber er soll schnell machen, ich habe noch zu tun.“ Die Wäsche ist noch nicht gemacht, der Artikel noch nicht geschrieben, das Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter noch nicht besorgt – Frau Rottenmeier ist immer beschäftigt. In der Regel nicht für das eigene Wohl, sondern für das der anderen.

Nun könnte der Eindruck entstehen, dass Frau Rottenmeier total unsympathisch sei und einem das Leben zur Disziplinhölle macht. Frau Rottemeier ist aber wie auch jeder andere Anteil in uns, in seiner Funktion wertzuschätzen. Sie steht für das Bedürfnis nach Ordnung und Berechenbarkeit, nach Verbindlich- und Verlässlichkei. Nur mit Lust kann sie nichts anfangen. So geht es in der Teile-Arbeit mit Frau Rottenmeier nicht darum, sie zu eliminieren , sondern ihre Stimme zu hören und anzuerkennen. Danach kann überlegt werden, ob der Platz, den sie einnimmt die richtige Größe und den passenden Anteil in der Persönlichkeit hat. Manchal kann es auch hilfreich sein, nach Anteilen zu suchen, die ihre Macht begrenzen, falls sie übermächtig würde.

Mein Klient findet derweilen immer besseren Kontakt zu seinem Anteil, der so sauer war. Wir gehen die verschiedenen in Frage kommenden Filmfiguren durch, aber keine stimmt so richtig. Ich überlege mit und bemerke: „Eigentlich verhält sich Ihr Anteil wie ein Terrorrist. Im Grunde genommen hat er hohe und nachvollziehbare Werte, aber die Art wie er sie durchsetzen möchte, haben etwas Gewalttätiges.“ Der Mann erschrickt. Nach einer kurzen Weile aber meint er: „Sie haben Recht, und jetzt, wo ich das Bild zulasse, da fällt mir auch jemand aus meinem Bekanntenkreis ein. Beide (auch seine Frau) rufen gleichzeitig den gleichen Namen eines gemeinsamen Bekannten in den Raum und lachen. Dann erzählen sie eine sehr plastische Geschichte dazu und der Mann meint: „Ja, jetzt passt das Bild.“

Wie immer, wenn ich mit Anteilen arbeite, frage ich nach wichtigen Botschaften, die dieser Anteil mitzuteilen hat, und wofür er steht. In diesem Fall ist das gute Ziel des Terrorristen (ich möchte den echten Namen verschweigen) die persönliche Weiterentwicklung des Mannes. Mein Klient war durch ehrgeiziges Hocharbeiten in seiner Firma und der damit verbundenen Konkurrenz hart geworden, und seine Frau konnte mit dieser hohen Anspannung, die sich auf das gesamte private Familienleben inklusive der Erotik übertrug, einfach nicht mehr zurechtkommen. Der innere Anteil meines Klienten wendete diese beruflich hilfreiche Härte auch auf seine persönliche Weiterentwicklung an: „Ich muss mich verändern. Ich habe es wieder nicht geschafft. Streng dich mehr an“, lautete die Botschaft bis hin zu sehr abwertenden Kommentaren: „Was bist du für ein Arschloch. Du raffst es einfach nicht.“

Kein Wunder, dass seine Frau ihn sehr aggressiv erlebte. Stellen Sie sich vor, in Ihnen würde sich so ein erbarmungsloser Kritiker äußern und Sie regelmäßg zur Schnecke machen. Da kann man schon mal aggressiv werden.

Wir sprechen weiter. Ich frage: „Gibt es eigentlich auch jemand in Ihnen, der Sie tröstet, wenn Sie Ihre Ziele nicht erreicht haben? Der weiß, wie es Ihnen geht und der Ihnen Mut macht, es weiter zu versuchen? Mein Klient schüttelt den Kopf: „Nein, so einen habe ich nicht in mir. Aber das täte gut.“ „Kennen Sie eine solche Figur?, frage ich weiter. Wieder schauen sich beide an, denken das gleiche und nennen einen Namen, der zu einem Mann in ihrem Bekanntenkreis gehört. Sie erzählen wieder sehr plastisch über diese Person, berichten über sein Einfühlungsvermögen, seine Herzlichkeit, seine Fähigkeit zu genießen und seine Zuneigung direkt auszudrücken. Ich frage: „Merken Sie, was gerade passiert?“ „Nein.“ „Was passiert gerade in Ihrem Körper? Wie fühlen Sie sich, wärend Sie über Ihren Freund sprechen?“ „Irgentwie gut, ich kann besser atmen und bin entspannter.“ Ich konnte förmlich sehen, wie ihm das Herz aufging. „Also von dieser Qualität könnten Sie etwas mehr vertragen.

Wir sprachen über die Zeit des Paares, bevor der berufliche Erfolg kam und jenem Persönlichkeitsanteil des Mannes, der damals der vorherrschende war, und der Mann berichtete, dass er zuvor ein bißchen verträumt gewesen sei, er nannte eine Figur aus einem modernen Märchen, der Name der Figur war auch lange sein Spitzname gewesen, deshalb nenne ich ihn hier nicht. Seine Frau: „Damals warst Du so lässig, in diese Verträumtheit habe ich mich so verliebt, Du hattest keinen Druck und warst entspannt.“ (Das Paar hatte sich früh kennengelernt, war mittlerweile seit 15 Jahren verheiratet und hatte ein Kind).

Jetzt fragen Sie sich als LeserIn vielleicht, was das Ganze soll. Geschichten und Figuren sind ja ganz nett, aber können sie wirklich bei der persönlichen Veränderung helfen? Ich meine: „Ja.“ Innere Bilder, sofern sie gut passen, lösen viele Gefühle in uns aus, sie lehren uns auf unbewusster Ebene etwas über das Leben und uns selbst. Keine Entwicklung ohne Vision. Wenn wir uns verändern wollen, müssen wir wissen, wohin. Erst dann kommt das wie. Ein Bild hat den Vorteil, dass es genügend Freiraum lässt. Es ist mir überlassen, wie ich es ausschmücke, wo ich die Priorität setze, und was ich vernachlässige. Und dennoch ist es vollständig. Es lässt Raum für unsere verschiedenen inneren Anteile, wie eine Szene in einem Schauspiel. Alle Akteure werden gebraucht, aber die Dramaturgie verändert sich je nach Zusammensetzung.
Die Arbeit mit unseren inneren Anteilen hilft uns, unsere Konflikte differenzierter wahrzunehmen auch die Spannung, die mit ihnen verbunden ist. Es ist gar nicht so einfach, zu einer Aussage zu kommen, die unser Pressesprecher dann nach außen vertreten darf.

Wenn wir unsere wichtigsten inneren Anteile kennen, können wir sie gezielt befragen und nacheinander anhören, ihre Botschaften respektieren und wertschätzen. Wir brauchen uns dann nicht mehr wundern, wenn wir das eine sagen und das andere tun. In diesem Falle wurden wichtige Anteile nicht gehört oder wahrgenommen. Aber solche „Kellerkinder“ verschaffen sich Beachtung, in dem sie das Ich boykottieren. Wenn immer Sie merken, dass Sie sich anders verhalten als Sie eigentlich wollen, ist das ein Hinweis darauf, dass Wichtiges nicht gehört wurde. Wenn Sie ihre Anteile gut kennen, können Sie authentisch handeln.

Im Laufe unseres Paargespräches entdecken wir noch andere innere Teammitglieder, auf die ich jetzt aber nicht eingehen möchte. Zum Schluss frage ich die Frau: „Mit welchen Anteilen Ihres Mannes würden Sie gerne schlafen?“ Die Frau schüttelte den Kopf: „Vielleicht mit dem Verträumten, aber der ist jetzt zu jung, mittlerweile haben wir Familie, und ich brauche etwas anderes. Nein, im Moment gibt es niemanden in meinem Mann, mit dem ich Erotik leben möchte.“ Sie sagt das ganz ruhig, nicht abwertend, nicht kritisierend, sondern fast für sich selbst, als würde sie plötzlich verstehen, warum sie seit Jahren keine erotische Berührung mehr zulassen konnte.
Auch der Mann versteht. Er hat selbst gemerkt, dass es keinen Anteil in ihm zu geben scheint, der etwas mit Erotik anfangen kann. Es gibt den Offizier, der zu immer größeren Leistungen antreibt. Es gibt den Terroristen, der für seine Ziele gewalttätig wird, den lässigen Träumer, der aber keine Verantwortung hat und für Erotik noch zu jung ist.

Es wird mit einem Mal klar, wohin die Entwicklungsreise gehen könnte, wenn das Ziel wäre, auch als Frau und Mann wieder zueinander zu finden und formt sich zu einer Frage, die lautet:

Was müsste ich entwickeln, wer in mir müsste stärker werden und welcher Anteil anders balanciert werden, damit ich der Mann (oder die Frau) werden kann, der (oder die) ich sein möchte?

Mit dieser Frage lasse ich Sie nun allein. Ich würde mich freuen, wenn der Text Sie angeregt hat, über Ihre inneren Anteile nachzudenken oder noch besser, direkt mit Ihnen zu diskutieren. Keine Angst, es ist völlig normal und kein Zeichen von Schizophrenie.

Zum Schluss möchte die Frau Rottenmeier in mir noch eine Ankündigung für den nächsten Beitrag machen. Frau Rottenmeier hatte einem Kollegen von mir zugesagt, sein Buch „Lustvoll Mannsein“ diesen Monat zu rezensieren. Damit sie zu ihrem Recht kommt und angemessen gehört wird, habe ich mich entschlossen, ihre Stimme zu veröffentlichen. Es ist ihr nämlich sehr peinlich, wenn sie Versprechen nicht einhält. Da ist sie ganz korrekt, nicht wegen der Versprechen, sondern, weil ihr Beziehungen wichtig sind, und sie gerne etwas für andere tut.
Leider hat sie eine mächtige Gegenspielerin, die keine Lust auf Pläne hat, die intuitiv und frei leben möchte. Ihr Name ist Künstlerkind.  Das Künstlerkind hat sich heute morgen durchgesetzt, ganz eindeutig: Bilder, Schauspiel und Phantasien sind seine Nahrung. Das Künstlerkind ist recht lebendig und folgt gerne seinen Impulsen. Es ist übrigens auch dafür verantwortlich, wenn die Rechtschreibung und Zeichensetzung im Beitrag manchmal etwas eigenwillig ist. Das Künstlerkind hat keinen Perfektionsanspruch, sondern hat Lust, sich auszudrücken. Da ist es in seinem Element.
Und da sich das Künstlerkind und Frau Rottenmeier gut kennen und sich gegenseitig schätzen, darf Frau Rottenmeier hier öffentlich versprechen, dass der nächste Beitrag der versprochene sein wird. Das Künstlerkind wird nächsten Monat zugunsten Frau Rottenmeiers verzichten, schließlich kommt es nicht oft vor, dass Frau Rottenmeier sich für lustvollen Sex einsetzt.

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