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Müssen wir uns in der Liebe auf einen oder eine Partnerin beschränken?

Als ich mich fragte, was mich diese Woche besonders beschäftigt hat, kam ich auf obenstehendes Thema, ausgelöst durch einen Praxisfall, der mich an ein eigenes Erlebnis vor vielen Jahren erinnert hat.
In diesem Fall ging es um ein Paar, welches schon lange mehr oder weniger glücklich verheiratet ist, der Mann aber nie seine erste Liebe ganz vergessen konnte.
Sie hatten sich in der Schulzeit kennengelernt, nie eine Liebesbeziehung geführt, aber immer eine starke Anziehung und Seelenverwandtschaft verspürt. Beide haben sich im Laufe ihres Lebens anderweitig gebunden. Jedoch haben sie einige Jahre versucht, ihre Freundschaft zu pflegen. Irgentwann beschlossen sie, dass es zu schwierig sei, mit der gegenseitigen Anziehung  umzugehen, ohne die jeweiligen Ehen zu gefährden und gaben die Freundschaft auf. Vor einer Woche trafen sie sich zufällig wieder, redeten die ganze Nacht, und gingen dann jeder für sich nach Hause, ohne eine weitere Verabredung ohne körperliche Intimität. Am frühen Morgen wurden einige SMS ausgetauscht über den schönen und seelisch innigen Abend. Der Mann sprach von einem tiefen Liebesgefühl…..und seine Ehefrau las die Nachrichten. Tief verletzt zweifelt sie an der gesamten Beziehung. „War ich immer nur die zweite Wahl?“

Ein anderes Paar, auch lange verheiratet, idealistisch und gleichberechtigt miteinander lebend, gerät in eine tiefe Krise, nachdem sich die Frau in einen anderen Mann verliebt hat. Hier ist der Mann total in Panik, hat Angst seine Frau zu verlieren, obwohl sie ihm versichert, dass sie ihn liebt und bei ihm bleiben möchte…aber mit dem anderen Mann könne sie Seiten an sich entdecken und ausleben, zu denen sie in ihrer Ehe keinen Zugang habe. „Ich möchte mich endlich mal wieder richtig spüren, als Frau und nicht als emanzipierte, funktionierende Ehefrau und Mutter. Ich möchte mich leicht fühlen ohne Verantwortung, so wie früher.“

Ein letztes Paar, auch lange zusammen. Hier bricht der Mann aus und sucht gelegentlichen erotischen Kontakt mit anderen Männern. Aus seiner Sicht verhält er sich absolut loyal. „Ich nehme meiner Frau nichts weg. Ich würde niemals mit einer anderen Frau schlafen, aber mit Männern ist das was ganz anderes. Es ist unverbindlich und komplikationslos, und ich möchte nicht darauf verzichten. Es hat nichts mit meiner Liebe zu meiner Frau zu tun.“

Drei Paare mit einer ähnlichen Fragestellung. Wird die langjährige Partnerschaft durch dritte Personen gefährdet? Und wie fühlen sich die jeweils Beteiligten dabei? Welche Konflikte müssen ausgehalten und bewältigt werden?

In der Paartherapie sprechen wir von Außenbeziehungen, wenn von weiteren wichtigen Personen die Rede ist. Wenn es eine Außenbeziehung gibt, muss es konsequenterweise auch eine Innnenbeziehung geben, die Basis für das Geschehen. Diese Innenbeziehung steht in der Regel an erster Stelle und die Außenbeziehung kommt als Bereicherung hinzu. Hier können oft Persönlichkeitsanteile gelebt werden, die in der Innnenbeziehung wenig Raum haben, häufig auch als erotische Beziehung. Meist ist die Innenbeziehung eine stabile Ehe mit Kindern, gemeinsamen Werten und die Außenbziehung frei von Verantwortung. Hier kann genossen, gespielt und Lebendigkeit erlebt werden. Die Loyalitäten sind geklärt. Die Ehe ist vielleicht nicht ganz so beglückend, aber wertvoll und erhaltenswert, und in der Regel bleibt sie trotz Krise bestehen.

Ein anderes Konzept ist das der doppelten Gebundenheit. Wie Sie schon hören, gibt es hier keine Hierarchie. Menschen lieben mehrere andere Menschen auf ganz unterschiedliche Weise aber durchaus in Form von gleichberechtigten Liebesbeziehungen. Bekannt ist dies auch in extremerer Form als Polyamorie.

Während einer Fortbildung unterhielt ich mich einmal mit einem Mann, der mit mehreren Frauen eine gleichberechtigte Liebesbeziehung lebte. Alle wussten voneinander und waren teilweise auch miteinander befreundet. Neugierig stellte ich ihm einige Fragen. Es hört sich ja erst einmal an wie im Schlaraffenland. Als er begann zu erzählen, was er so vorhatte, wenn er nach der Fortbildung zurück in seine Beziehungen kehrte, wurde mir ganz schnell klar: Wenn man Liebesbeziehungen zu mehreren Menschen intensiv pflegen möchte, hat man ganz viel Arbeit, und es braucht viel emotionales Engagement. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Das ist eine Vollzeitaufgabe im Leben, und es bleibt möglicherweise nicht so viel Raum für anderes. Denn auch diese Art zu lieben, kann Probleme schaffen und ist nicht frei von Verlustangst und  Eifersucht. Wird die Zuneigung gerecht verteilt? Kommt niemand zu kurz oder darf es Geheimnisse geben? Mehrfach gebunden sein, bedeutet auch mehrfach Verantwortung zu tragen.

Jetzt ist ja die Frage: „Warum tut es uns eigentlich so weh, wenn wir merken, dass unser Partner oder unsere Partnerin doppelt gebunden ist oder eine Außenbeziehung unterhält?“ Ehrlicherweise habe ich keine wissenschaftliche Antwort darauf, eher einige Hypothesen.

1. Wir sind so sozialisiert. Gesellschaft und Kirche haben von je her ein hohes Interesse an Verantwortungsbereitschaft und Loyalität in Partnerschaften. Der Staat, die Gesellschaft möchte, dass Kinder geboren werden, sicher aufwachsen und im Alter die Eheleute füreinander da sind. Je verantwortlicher Menschen diese Aufgabe wahrnehmen, desto weniger Leistungen muss der Staat und die Gesellschaft erbringen. Da jeder Mensch begrenzte Ressourcen zur Verfügung hat, liegt der Gesellschaft einiges daran, dass diese Ressourcen vernünftig und gewinnbringend eingesetzt werden. Verpflichtungen mehreren Partnern und Kindern gegenüber lässt die Lage unübersichtlich werden, Unterhaltsansprüche sind schwieriger durchzusetzen.

2. Wir Menschen sind zutiefst abhängig von der Liebe und Zuwendung anderer Menschen. Wenn wir diese Liebe bedroht sehen, reagieren wir mit Angst und Panik. Vielleicht ist diese Reaktion ein Überbleibsel unserer Kindheit. Kinderversorgung  und Erziehung ist anstrengend und kraftzehrend. Nur durch die Liebe sind Eltern bereit, eigene Bedürfnisse zugunsten ihrer Kinder zurückzustellen. Fällt dieses emotionale Engagement weg, geraten Kinder in Gefahr, wie man ja immer wieder in den Medien mitverfolgen kann.

3. Weil wir überleben wollen. Und im Laufe der Geschichte die Menschen überleben, die zugleich kraftvoll und flexibel reagieren können, sehen wir uns in Konkurrenz. Was hat er oder sie was ich nicht habe? Wird mein Partner, meine Partnerin sich von mir abwenden? Wird er oder sie mich verlassen, weil sich die Investition nicht mehr lohnt? Oder wird er/sie lieber woanders investieren?
Der Punkt mag Sie erstaunen, aber nicht anders ist zu erklären, dass Frauen sich sehr bedroht fühlen, wenn Ihr Mann sich emotional einer anderen Frau zuwendet. Und Männer sich bedroht fühlen, wenn Ihre Frau mit einem anderen Mann Sex hat. Frauen sind darauf angewiesen, dass Männer sich engagieren und investieren, wenn Kinder kommen und Männer wollen nicht in die Aufzucht „fremder“ Kinder investieren.

Ulrich Clement, bekannter Paar- /Sexualtherapeut und Autor des Buches: „Wenn Liebe fremd geht“ unterscheidet in seinem Buch vier Verletzungskomponenten: die sexuelle Verletzung – der Komperativ, die Loyalitätsverletzung – der Verrat, die soziale Verletzung – die Demütigung und die existenzielle Verletzung – die Einsamkeit.

Welche Art der Verletzung Menschen bevorzugt erleben, hängt sicherlich von der Persönlichkeit und dem Stand im Leben ab. Fest steht: Wenn der Partner oder die Partnerin, sich anderen Menschen intensiv zuwendet, ist dies eine Herausforderung für alle Beteiligten, die sich leider nicht durch Verbote und moralische Vorschriften aus der Welt schaffen lässt. So lange es Beziehungen und Partnerschaften gibt, wird es Untreue, gelebt oder nur gedacht geben. Ungefähr ein Drittel meiner Klienten und Klientinnen haben dieses Problem.

Während Clement dafür plädiert, Außenbeziehungen zuzulassen, und sich der Herausforderung zu stellen, fordert David Schnarch, ein amerikanischer Sexualtherapeut sexuelle und emotionale Treue. Er arbeitet mit Paaren am Wachstum ihrer Intimität. Intimität versteht er als gegenseitigen Öffnungsprozess, in dem ich mich meinem Partner zumute, so wie ich bin, und so wie ich fühle. Ehrlichkeit und Authentizität zählen, aber auch die Fähigkeit, Unterschiede auszuhalten und mit Angst umgehen lernen. Wer sich für sein Konzept interessiert seien seine beiden Bücher empfohlen (Die Psychologie der sexuellen Leidenschaft & Intimität und Verlangen).

Ich selbst finde es schwierig, die Eingangsfrage zu beantworten. Im Laufe meines Lebens habe ich unterschiedliche Erfahrungen gemacht und dabei alle möglichen Rollen kennengelernt. Die der Betrogenen, die der Geliebten und die, die selbst betrogen hat.
Meine erste interessante Erfahrung war in meiner ersten tieferen Liebesbeziehung. Ich hatte das Glück, einen sehr loyalen Partner zu haben, und ich fühlte mich sicher und geliebt. Vielleicht zu sicher. Jedenfalls schlug ich ihm vor, er solle doch mit einer gemeinsamen Freundin schlafen. Ich sei noch nie eifersüchtig gewesen und wolle wissen, wie sich das anfühlt. Er willigte ein, ich war zufrieden und wartete auf die Eifersucht. Leider geriet die Sitation etwas aus der Kontrolle. Nach vollzogenem Liebesspiel verabredeten sich die beiden zum Essen. Damit konnte ich nicht umgehen. Gott sei Dank zeigte sich mein Partner einsichtig, und das Thema war erledigt.

Dann gab es Zeiten in meinem Leben, in denen ich mich auch außerhalb der Beziehung verliebte. Ich schaffte es allerdings nie, zwei Männer dauerhaft gleichzeitig zu lieben. Punktuell gelang das schon.

Die letzte Erfahrung, die ich zu diesem Thema machte, liegt nun auch schon 25 Jahre zurück. Damals lebte ich mit einem Mann, der immer an anderen Frauen interessiert war, was mir natürlich überhaupt nicht gefiel. Er wollte gern eine sexuell offene Beziehung leben, ich war daran nicht interessiert, konnte es mir auch nicht vorstellen. Aber ich ließ ihn gewähren, und stellte mich meiner Eifersucht. Ich zweifelte nicht an seiner Zuneigung und Liebe, aber ich konnte ihn auch nicht davon überzeugen, sexuell treu zu sein. Damals beschloss ich meinen Begriff von Vertrauen und Treue anders zu definieren.

Heute verstehe ich Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit als vorhersehbares, vereinbartes und verlässliches Verhalten. Wenn ich jemandem vertraue, bin ich sicher, dass er tut, was er sagt. Damit kann ich persönlich besser umgehen, als wenn jemand so tut als ob, um höflich zu sein, oder nicht zu verletzen.
Anders ausgedrückt: Wenn mein Partner mir erzählen würde, dass er eine offene Beziehung leben möchte, würde mir das sicherlich schwer fallen, aber ich hätte kein Vertrauensproblem und würde auch nicht an der Liebe zweifeln.
Sehr viel schwieriger fände ich es (wahrscheinlich typisch Frau), wenn mein Partner sich in einen anderen Menschen verlieben würde, und ich wüßte nicht, ob hier offen bleiben könnte, so wie es wenige meiner Klienten schaffen.
Nichtsdestotrotz, das wird es immer geben. Solange Menschen in Bindungen leben, werden wir uns mit diesen Themen auseinander setzen müssen.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Sehr gerne lese ich Kommentare dazu.

6 Kommentare
  1. Schnupsipulami
    Schnupsipulami says:

    Ich finde noch ergänzenswert, dass eine Außenbeziehung auch Wachstum in die Paarbeziehung bringen kann – je kollusiver die Paarbeziehung desto mehr.

    Unterhaltsame Literatur dazu: Jellouschek, Im Irrgarten der Liebe (Herder 2012), Kapitel III. „Zeus und Hera brauchen Semele“ – durch die Außenbeziehung wird Zeus erwachsen, und die Außenbeziehung erledigt sich dadurch.

    Man könnte also sagen, die Ehe bleibt nicht trotz der Außenbeziehung bestehen, sondern wegen.

    Schöne Woche noch – ich freue mich auf den nächsten Beitrag!

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    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Vielen Dank für Ihre Ergänzung und auch den Literaturtip. Ich kenne das Buch gar nicht. Wenn es unterhaltsam ist, dann bekommt es die Chance im Urlaub gelesen zu werden. Und danke, dass Sie so regelmäßig lesen und kommentieren.

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      • sabine
        sabine says:

        Frau Jurgelucks, ich finde Ihre Ansichten und Beiträge sehr interessant. Leider wohne ich zu weit weg, sonst hätte ich schon längst einen Termin bei Ihnen vereinbart. Ich selbst befinde mich derzeit in einer Situation, die für mich vor einem halben Jahr noch undenkbar war. Ich bin verheiratet, habe mit meinem Mann vier Kinder und hätte mir nie vorstellen können, über offene Beziehungen, Polyamorie und dergleichen nachdenken zu müssen. Mein Mann hat sich letztes Jahr in eine andere Frau verliebt, hatte fast ein Jahr lang eine Affäre mit ihr und hat es mir schließlich im Oktober erzählt. Seitdem kämpfen wir um unsere Ehe, unsere Liebe und alles, was damit verbunden ist. Wir haben es uns beide viel leichter vorgestellt. Er hatte den festen Vorsatz, aus dieser Liebe eine Freundschaft werden zu lassen und hat es bis heute nicht geschafft. Ich war der Überzeugung, wenn zwischen uns wieder alles funktioniert, dann verliert diese andere Liebe an Bedeutung und verschwindet irgendwann. Es ist jetzt ein halbes Jahr vergangen. Wir lieben uns und haben eine viel bessere Beziehung als je zuvor. Auch sexuell haben wir uns unheimlich entwickelt und ein Vertrauen zueinander gefunden, was es vorher nicht gab. Aber die Liebe zu der anderen Frau ist immer noch da. Und hat sich nicht verändert. Mein Mann sieht sie jeden Tag auf Arbeit und meint, er könne sich nicht vorstellen, keinen Kontakt mehr zu ihr zu haben. Ich bin wirklich zeitweilig durch die Hölle gegangen, war total verzweifelt, konnte nicht verstehen, warum er mir das antut. Aber ich habe erkannt, dass ich ihn nicht zwingen kann, die Frau aufzugeben. Dass das unsere Ehe kaputt machen würde. Und ich habe mich zu einem Schritt entschlossen, den ich am Anfang nie für möglich gehalten hätte. Wir machen zu dritt eine Paartherapie bei einer „etwas anderen“ Paarberatung. Wo auch offene Beziehung und Polyamorie kein Tabuthema sind. Ich weiß nicht wohin uns dieser Weg führt und habe auch große Angst davor, aber ich hoffe, dass wir an dieser Sache wachsen und am Ende vielleicht sagen können, dass das genau der richtige Weg war, um unsere Ehe zu retten.

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        • Christiane Jurgelucks
          Christiane Jurgelucks says:

          Liebe Sabine,
          ich habe wirklich Respekt vor Ihnen. Das ist gewiss ein sehr schwieriger Weg, den Sie da gehen. Aber Sie schreiben ja auch, dass sich Ihre Ehe durch diese Erfahrung sehr positiv verändert hat. Das ist auch meine Erfahrung. Wenn man es schafft, sich konstruktiv auseinanderzusetzen, dann wächst die Beziehung. Hoffentlich haben Sie Menschen, die Sie auf diesem Weg unterstützen. Ganz herzliche Grüße auch an die Kollegin oder den Kollegen, der sich traut unkonventionelle Wege in der Paarberatung zu gehen.
          Ich wünsche Ihnen alles Gute
          Herzliche Grüße
          Christiane Jurgelucks

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    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Vielen Dank. Ich konnte den link erst heute öffnen. Ich glaube, ich kenne das Buch doch, aber ist schon lange her.

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