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Konfliktmuster in Liebesbeziehungen – Schnecke oder SchneckenjägerIn?

Kürzlich besuchte mich ein junges Paar in der Praxis. Sie klagte: „Mein Freund zieht sich immer total zurück. Er ist so empfindlich. Wissen Sie, es ist so: Wenn ich etwas von ihm will, ich einen Konflikt lösen will oder eine Antwort auf meine Fragen, dann ist es so, als berühre ich eine Schnecke an ihrem Fühler. Sobald ich nur in seine Nähe komme, zieht er sich sofort zurück.“ „Und was machen Sie dann“, frage ich. „Wissen Sie was! Ich greife den Fühler und lasse ihn nicht mehr los. Er will sich zurückziehen, und ich zerre und ziehe an ihm, und am Ende haben wir Streit und sind total erschöft.“ „Autsch“, denke ich, gleichzeitig fällt mir auf, dass ich das auch kenne und zwar aus beiden Positionen.

Wie Sie schon hören, geht es um Positionen in einem, sich ständig wiederholenden Konfliktmuster in unseren Liebesbeziehungen, und nicht um Charaktereigenschaften, auch wenn es in Paarkonflikten oft so wirkt. „Nie bist Du für mich da, wenn ich Dich brauche“, oder „Dir muss man alles aus der Nase ziehen. Von Dir kommt ja gar nichts“, das sind typische Aussagen einer Schneckenjägerin, in der Sprache von Sue Johnson, maßgebliche Entwicklerin des EFT-Ansatzes, AnkägerIn genannt.
Eine typische Schnecke, Sue Johnson nennt sie Rückzügler, vermeidet normalerweise Konflikte durch Rückzug. „Ich kann machen, was ich will. Dir ist es nie recht“, oder noch deutlicher durch ausgiebiges Schweigen, wegschauen oder sogar weggehen.
Möglicherweise erkennen Sie sich in der ein oder anderen Position wieder, vielleicht können Sie auch beide Positionen einnehmen. In der Regel neigen wir aber zu einem Verhalten, welches sich in Konfliktsituationen immer wiederholt.

Wenn ich Paare berate, schaue ich auch nach diesen Positionen, die sie während eines Konfliktes einnehmen. Es ist beileibe nicht so, dass immer eine Schnecke auf einen Schneckenjäger trifft, sondern manchmal finden sich zwei VerfolgerInnen oder zwei RückzüglerInnen. Und vielleicht können Sie sich auch vorstellen, wie sich die Kombinationen von Verhaltensweisen auf den Beratungsprozess auswirken.

Habe ich zwei Schnecken vor mir, ist es ruhig. Es hagelt keine Vorwürfe, beide Partner lassen sich ausreden. Ich höre häufiger: „Ich weiß nicht, was ich tun soll, ich verstehe meinen Partner nicht.“ Oder; „Wir machen gar nichts mehr.  Wir haben uns auseinander gelebt. Da ist keine Liebe mehr.“ Die Atmosphäre kann von freundlich, höflich zu kühlem und ärgerlichem Schweigen reichen. Typisch ist, dass die Partner schwer untereinander in Kontakt kommen, meistens aber, nach einer gewissen Anwärmphase keine Probleme haben, sich mir zu öffnen. Ein Rückzüglerpaar geht normalerweise nicht gern Risiken ein, deshalb fällt der Schritt nach vorn, zu mehr Intimität und zu Sich zeigen schwer. Lieber ein bischen Abstand halten und nicht verletzt werden. Dieser Sicherheitsabstand führt dazu, dass weniger Emotionen im Raum sind, und die Partner sich nicht absichtlich verletzen. Es ist ein bischen „friedhöflich“, gleichzeitig aber auch nicht nah. Probleme und Konflikte werden allein gelöst oder zumindest ausgehalten.
Sie können sich vielleicht vorstellen, dass unter diesem Verhalten auch die gemeinsame Erotik und Sexualität leidet. Oftmals gibt es sie nicht mehr, oder sie wird mechanisch.

Habe ich es mit zwei Schneckenjägern zu tun, gestaltet sich die Beratung völlig anders. Da ist von Anfang an Dynamik im Raum, keine Zeit verschwenden mit Kennenlernen, die Vorwürfe und Enttäuschungen müssen sofort auf den Tisch. „Ich sag der Therapeutin mal, was für eine oder einer Du bist. Ich bin froh, dass eine neutrale Person, Dir mal sagt, wo es langgeht, wie unmöglich Du Dich verhältst (im positiven Fall) oder wie unmöglich Du bist. Du tickst ja nicht mehr richtig, Du bist doch nicht normal (im weniger positiven Fall).“ Und zu mir als Therapeutin: „Jetzt sagen Sie doch mal, was normal ist. Ich will es jetzt wirklich wissen.“ Und schon werde ich in das Geschehen gezogen. Die Stimmung reicht von ärgerlich, aggressiv zu fordernd und dynamisch. Glück habe ich, wenn das Paar noch miteinander lachen kann, und wenn hinter diesem Kampf noch Liebe übrig geblieben ist.
Sie können sich vielleicht vorstellen, dass es hier anfangs nicht möglich ist, eine ruhige und strukturierte Beratung oder Therapie zu machen. Zu groß die Verletzungen, die ausgedrückt werden müssen, zu viele Emotionen, die gehört werden wollen. Im Laufe der Zeit kann dies aber durchaus gelingen, sofern das Paar noch an einer konstruktiven Lösung interessiert ist.
Wenn die Konfliktspirale noch nicht zu groß geworden ist, brauche ich diese Paare kaum nach ihrer Erotik fragen. Die ist vorhanden und wird oft auch intensiv gelebt, wenn noch Zuneigung gefühlt wird.

Die letzte Konstellation, die ich hier beschreiben möchte, ist die, die in der Praxis am häufigsten vorkommt. Eine Verfolgerin kommt mit einem Rückzügler oder, häufig beim Thema Sex und Erotik: Ein Verfolger kommt mit einer Rückzüglerin.
Häufig ist es die Frau, die ihren Mann zur Paartherapie drängt. Sie wirft ihrem Mann vor: „Nie bist Du für mich da. Du hast doch nur Fernsehen im Kopf. Das war ja schon von Anfang an so. Ich hätte es wissen müssen, aber ich war ja so blöde, auf Dich hereinzufallen. Ich hätte es mir ja denken können. Damals, als mein Vater gestorben ist, hast Du mich nicht mal gefragt, wie es mir geht.“ So ähnlich fangen viele Gespräche an, wenn ich ein Paar frage, warum es zu mir kommt. Während der eine Partner wortgewaltig ausdrückt, wie sehr er oder sie enttäsucht wurde, fällt der andere oder die andere immer weiter in den Sessel zurück. Häufig höre ich Sätze wie: „Am liebsten wäre ich unsichtbar. Ich kann es sowieso nicht recht machen. Ich weiß einfach nicht, was sie von mir will.“ Der Rückzügler spricht weniger. Häufiger muss er oder sie erst zum Sprechen eingeladen werden, denn, und das ist das Schwierige an diesem Konfliktmuster: Je mehr der Angreifer klagt, fordert, mahnt und laut leidet, desto mehr zieht sich der Rückzügler in sein Schneckenhaus zurück und schweigt. Einmal in ihrem Schneckenhäuschen angekommen, schaffen es Rückzügler nicht mehr, in Anwesenheit ihres Partners von allein herauszukommen. Rückzügler brauchen in der Regel, wie schon oben beschrieben, im Konfliktfall einen Sicherheitsabstand zum Partner, d.h., sie müssen sich allein beruhigen. Erst dann können sie langsam wieder heraus.
Und was macht der angreifende Partner so lange? Der wird immer wütender, enttäschter. Und, das ist hinter dem wütenden und anklagenden Verhalten oft nicht sofort sichtbar; Der anklagende Partner fühlt sich zutiefst verlassen, ungeliebt und allein. Verzweifelt versucht er durch forderndes Anklagen, Kontakt herzustellen, was aber nicht gelingt. Die Verzweiflung wächst.
Beide Partner fühlen sich allein, verlassen, unverstanden und nicht mehr geliebt. Beide haben oft Angst um die Beziehung, aber das Ausdrücken dieser Emotionen unterscheidet sich so sehr, dass sie das nicht sehen können.
Dieses Muster von Anklagen und sich zurückziehen kann lange die Paardynamik bestimmen. Oft kommen diese Paare erst in die Therapie, wenn sich auch der ursprünglich Angreifende aus dem Gefühl der Resignation zurückzieht.

Wenn wir diese drei möglichen Konflktmuster mit großem Abstand betrachten, könnten wir uns fragen: Warum machen wir das so? Keine der Positionen fühlt sich wirklich gut an, worum geht es denn eigentlich? Und was wären mögliche Alternativen?

Wie wir uns in Konfliktsituationen verhalten, hängt davon ab, welche Lernerfahrungen wir in wichtigen Bindungsbeziehungen gemacht haben. Wenn wir gelernt haben, dass Kämpfen eine erfolgreiche Strategie ist, dann werden wir kämpfen. Wenn wir gelernt haben, dass unserer Meinung nicht gezählt hat, und dass, das sich Zeigen möglicherweise gefährlich ist, werden wir zum Rückzug neigen. Eigentlich geht es um die Bewältigung von Angstgefühlen in einer Liebesbeziehung: Habe ich den Eindruck, dass sich Kämpfen lohnt, werde ich kämpfen. Fühle ich mich dem Geschehen hilflos ausgeliefert, bzw. verfüge ich über keine geeigneten Strategien, werde ich fliehen, oder,  und das fühlt sich noch schlimmer an, in meiner Angst einfrieren.

Der junge Mann, den ich eingangs erwähnte, hatte in seiner Kindheit erlebt, wie seine alkoholkranke Mutter von wechselnden Partner vor seinen Augen gequält und erniedrigt wurde. Einmal wurde sie so bedroht, dass er glaubte, dass sie jetzt sterben würde. Er wollte so gerne helfen, aber er konnte es nicht. Er fror in seiner Angst ein. Ein kleines Kind ist mit einer solchen Situation absolut überfordert. Es kann nur versuchen, zu überleben, in dem es möglichst wenig fühlt. So war es für mich, und in der Therapie auch für ihn schnell verständlich, warum er auf Anklagen, Forderungen und intensiv vorgebrachte Wünsche seiner Freundin so reagierte. Er bekam große Angst, und er konnte mit dieser Angst nicht anders umgehen, als sich schleunigst zurückzuziehen.

Nur wie kommen wir aus diesen Mustern heraus, und welche Alternativen gibt es? Eine Antwort auf diese Fragen, werde ich in einer meiner nächsten Beiträge versuchen. Bis dahin können Sie sich, wenn Sie möchten, einmal liebevoll fragen, warum Sie sich in Konfliktsituationen verhalten, wie Sie sich verhalten. Und wenn Sie Lust haben, schreiben Sie mir Ihre Erfahrungen.

2 Kommentare
  1. Katrin Vogt
    Katrin Vogt says:

    Heute Nachmittag habe ich überraschend frei, da eine Fortbildung kurzfristig abgesagt wurde.
    Sehr gerne lese ich in Ihrem Blog. Also, ich glaube von mir beides zu sein- Rückzügler und Angreifer/Kämpfer. Wenn ich mich treiben lasse könnte ich ohne Probleme im Schneckenhaus verschwinden. “ Deckel zu ! “
    Aber irgendwie fühlt sich das auch auf Dauer nicht gut an. Neugierig schaue ich heraus und überlege, was könnte ich tun? Der bewußte Teil in mir läßt mich nicht verschwinden. Bewußt, möglichst ohne Konflikte , Streit, Auseinandersetzungen, negativen Gefühlen…versuche ich mich an meinen Partner heranzupirschen. Er läßt sich aber nur schwer locken oder noch unangenehmer , meine Bemühungen werden durch negative Bemerkungen und Gefühle oftmals abgewürgt.
    Das Leben könnte so viel leichter sein!
    Warum tun wir uns das nur an?

    Zur Zeit bin ich Optimist… “ nur langsam“, selbst ein Schnecke kommt irgendwann zum Ziel.
    Gefahr “ Schneckenkorn“

    Herzliche Grüße K.V.

    Antworten
    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Ja, es ist spannend, zu sehen, dass wir beide Rollen einnehmen können, je nach Situation und PartnerIn. Das zu erkennen, ist ein Gewinn, da wir auf diese Weise nachfühlen können, wie der Partner oder die Partnerin fühlt. Und das kann die Voraussetzung für Veränderung sein. Mir persönlich hilft das, vor allem in Konfliktsituationen mit meinem Sohn.
      herzliche Grüße sendet und weitere erkenntnisreiche Momente wünscht Ihnen Christiane Jurgelucks

      Antworten

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