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Sex, der die Seele berührt und „satt“ macht, den Körper erfüllt und erfühlt.

Ab und zu beantworte ich in der Bild am Sonntag unter der Rubrik „Ach so!“ Fragen zu Sex und Erotik. Meist handelt es sich um Fragen, über die ich mir freiwillig keine Gedanken machen würde, die aber dann doch auf den zweiten Blick mein Interesse wecken. Insofern finde ich diese kleine Herausforderung für mich persönlich bereichernd, auch wenn die Darstellung meiner Antworten nicht so differenziert veröffentlicht wird, wie ich mir das eigentlich wünschen würde. Aber wer erwartet dies auch von einem Ableger der Bild-Zeitung?

Vor  zwei Wochen wurde die Frage gestellt, wie viel Sex ein Paar pro Woche haben sollte. Hintergrund dieser Frage war eine Studie, die die Hypothese aufstellte, dass die optimale Frequenz bei einmal pro Woche läge, mehr mache nicht glücklicher, aber weniger lasse Paare unglücklich werden. Ich wunderte mich über den ernsten Hintergrund der Frage und telefonierte eine Weile mit der Journalistin, die darauf hin eine recht differnzierte Antwort schrieb, die aber, um es gleich vorweg zu nehmen, dann nicht veröffentlicht wurde. Möglicherweise nicht im Sinne des Chefs?

Nichts desto trotz finde ich, dass die Gedanken zu dieser Frage zu schade sind, um sie nicht zu veröffentlichen. Und hier in meinem Beitrag kann ich mir jede Freiheit dazu nehmen, die ich angemessen finde.

Es gibt zahlreiche Studien zur Sexfrequenz der Deutschen abhängig von Lebensalter und der Beziehungsdauer. Eine der bekanntesten ist die Studie von Schmidt et al. aus dem Jahr 2006. Die Forscher untersuchten knapp 800 in einer Großstadt (Hamburg und Leibzig) lebenden Frauen und Männer im Alter von 30, 45 und 60 Jahren. Sie wurden nach ihren sexuellen Aktivitäten in Abhängigkeit zur Partnerschaftsdauer befragt.

Der Studie zufolge sinkt statistisch in allen drei Alterstufen die monatliche Häufigkeit eines Paares sexuell aktiv zu sein und zwar abhängig von der Beziehungsdauer. Das heißt, Paare, die länger zusammen sind, haben signifikant weniger Sex als Paare, die noch nicht so lange zusammen sind. Dabei spielt das Lebensalter keine Rolle. Eine 60-jährige, die erst 2 Jahre mit ihrem Partner zusammen ist, hat demzufolge deutlich mehr Sex als eine 30-jährige, die ihren Partner seit 10 Jahren kennt.

Wenn hier von Sex gesprochen wird, ist, basierend auf den Antworten der StudienteilnehmerInnen, fast ausschließlich Geschlechtsverkehr gemeint. Die Forscher hatten keine Definition von Sex vorgegeben. Auch das wäre ein interessantes Thema für einen Beitrag – was ist eigentlich Sex?

Dabei ist die Abnahme der Sexfrequenz ein kontinuierlicher Prozess, der aber nach drei bis fünf Beziehungsjahren deutlich sichtbar ist. Nach dem 10. Beziehungsjahr bleibt die Sexfrequenz eines Paares für die nächsten 20-25Jahre erstaunlich stabil, sie pendelt sich nämlich bei ungefähr 4-5mal monatlich ein. Diese Frequenz reicht offenbar aus, damit sich ein Paar als Liebespaar fühlt.

Viele Liebespaare reagieren anfangs auf die Abnahme der Sex-Frequenz irritiert, aber die meisten nehmen es nach einer Weile gelassen hin. Paare wissen dann, dass sich Phasen sexueller Leidenschaft mit Phasen sexueller Langeweile oder Gewohnheit abwechseln können. Sex darf gemütlicher und weniger geil werden, auch wenn die Sehnsucht nach dem Besonderen der Anfangszeit bleiben kann.

Und natürlich könnte man sich fragen, warum wir es immer seltener tun, obwohl wir alles dürfen? Oder auch anders herum: „Warum tun es Frischverliebte so häufig?“ Man hat doch noch ganz viel Zeit. Aber offensichtlich ist das Erleben von intensiven körperlichen Empfindungen und starken Gefühlen außerordentlich sinnvoll am Anfang einer Beziehung. Es fördert und festigt die Bindung zweier Menschen, die anfangs häufig bestätigt werden will, da sie noch nicht sicher ist.
Lang gebundene Paare benötigen diese Bestätigung offenbar deutlich weniger, so dass sie zwar der Leidenschaft nachtrauern können, ihrer aber nicht bedürfen, um sich wohl und sicher miteinander zu fühlen. Sie können, aber müssen keinen Sex miteinaner haben.

Und so kommt der Geschlechtsverkehr in heutigen Paarbeziehungen nur dann zustande, wenn beide Partner das wollen. Und es setzt sich in der Regel der Partner durch, der weniger Verlangen nach Sex hat.
Und hier wird es jetzt spannend: Während sich am Anfang einer Beziehung beide Partner intensiven Sex wünschen, kommt es nach Jahren zu einer Rollentrennung, die vielen von Ihnen bekannt vorkommen dürfte.
Fragt man Frauen und Männer nach ihren Bedürfnissen, dann sagen fast 80% der Männer, dass sie sich mehr Sex in ihrer Beziehung wünschen, bei den Frauen sind es gut 20%. Wird die Frage nach Intimität und Zärtlichkeit gestellt, dann sagen 95% der Frauen, dass sie es genießen, einfach nur zärtlich zu sein. Bei den  Männern sind es gut 50%. Die Zahlen gelten jeweils für eine Beziehungsdauer zwischen 10 und 30 Jahren.

Die  Forscher deuten die Ergebnisse so, dass es zu einer Art Arbeitsteilung beim Paar kommt. In der Regel fühle sich der Mann eher dafür zuständig für den Sex und die Frau übernimmt die Verantwortung für die nichtsexuelle Intimität.

Was nicht beantwortet wird, ist die Frage, warum das so ist, warum Frauen dann weniger Sex wollen, ob sie sich mehr langweilen oder ob sie ihn nicht mehr wichtig finden, oder ob sie nur den gewohnen Sex nicht wollen. Auch dazu gibt es viele mögliche Antworten, mit denen ich mich an dieser Stelle auch nicht beschäftigen möchte.

Auf jeden Fall sei diese Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann bei allen untersuchten Altersstufen zu finden, und sie ist nicht abhängig von verschiedenen Kontexten wie Erziehung, Generationszugehörigkeit, Verdienst oder Rollenteilung eines Paares.

Wenn ich die Ergebnisse eine solchen Studie lese und diese mit meinen Erfahrungen in der Praxis abgleiche, dann stelle ich mir die Frage, warum sich die Bedürfnisse von Männern und Frauen so polarisiert darstellen. Kann es nicht einen Sex geben, der körperlich erregend ist und gleichzeitig die Seele nährt, also physische und emotionale Bedürfnisse erfühlt und erfüllt?

Mich  ärgert schon lange die ständige Frage nach der Frequenz, sowohl in der Praxis als auch innerhalb von Wissenschaft und Forschung. Nicht, dass ich die Frequenz unwichtig finden würde, aber viel interessanter ist für mich die Frage nach der Qualität des Erlebens. Was macht Sex zu einem Ereignis, nach dem sich Mann und Frau sehnen können? Was ist für jeden von uns wichtig? Welche Bedürfnisse wollen wir  gerne stillen? Wie beantworte ich persönlich die Frage, was guter Sex ist? Bin ich in der Lage meine Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen, mich mit ihnen ehrlich zu zeigen und die Verantwortung für mein Erleben selbst zu übernehmen? Und nehme ich mir überhaupt die Zeit, genau darüber nachzudenken?

Meiner Erfahrung nach tun das leider nur wenige Menschen. Und dieses Nichtreflektieren über das, was ich mir wünsche und wonach ich mich sehne, wird ersetzt durch die Frage nach der Frequenz. Als habe eine hohe Frequenz automatisch eine hohe Qualität im Gepäck. Vielleicht steht dahinter eine Hypothese, die zu Grunde legt, dass Mann oder Frau es ja nicht tun würde, wenn es nicht schön wäre.
Doch das ist Mitnichten so, wie ich Ihnen aus meiner Praxis berichten kann. Es gibt viele gute und weniger gute Gründe für Sex, auf die ich an dieser Stelle aber nicht eingehen möchte, weil sie einen eigenen Beitrag füllen könnten.

Lust, Genießen, Sich Spüren und Auszudrücken, Halt und Innigkeit zu finden, Grenzen sprengen, Unerlaubtes tun, sich in seiner Geilheit zu zeigen, sich zu nehmen, was man haben will, zu geben, ohne zu fordern, sich an der Lust des anderen zu freuen, sich dem Orgasmus hinzugeben – von all diesen Qualitäten des Erlebens höre ich in der Praxis selten. Statt dessen die Frage nach der Frequenz!

Wenn  ich diese Frage ernst nehme, dann kann ich mich eigentlich nur in einer Art und Weise darauf beziehen. Will ich die Frequenz erhöhen, dann muss das gemeinsame Erleben Sinn ergeben und Bedeutung haben und zwar für beide Partner mit ihren Bedürfnissen und Sehnsüchten. Emotional wie physisch.

Wir  leben heute in einer Zeit, in der wir eigentlich selbst bestimmen können, was wir tun, zumindest im Bett, auf dem Küchentisch oder draußen am See. Wir werden dabei von einer Pornografisierung ohne gleichen begeleitet und unbemerkt schleicht sich in gewisser Blickwinkel in unseren eigenen Blick auf unseren persönlichen Sex ein. Porno wird für viele zur Norm, begleitet von optischen Standarts und Praktiken. Das ist perse nichts Negatives, sofern man diesen Blickwinkel nicht zur Norm erhebt, sondern als Reflexionsgrundlage nutzt. Porno macht Frauen und Männer geil, dafür wird er produziert und konsumiert. Er erfüllt also das Bedürfnis nach starker und intensiver Erregung. Was er aber nicht kann, ist Begehren auf einen realen Partner wecken und die Sehnsucht nach intensiver emotionaler Verbindung und Innigkeit zwischen zwei Menschen. Dafür braucht es die reale Begegnung, ein tiefes Einlassen zumindest für den Moment und den Wunsch, den anderen wirklich an sich heranzulassen.
Und glauben Sie mir: „Das ist nichts für Feiglinge!“ Sich Zeigen in einer intimen Situation erfordert Mut und Risikobereitschaft. Denn ich könnte abgewiesen und in meinem erotischen Sein nicht beantwortet werden. Diese mögliche Unsicherheit auszuhalten, erfordert Selbstsicherheit, Selbstakzeptanz und viel Zuneigung zu sich selbst.

Wenn  wir uns mit uns und in unserer Erotik sicher fühlen, dann können wir physisch und emotional intensiven Sex erleben, der unsere Seele berührt, der uns satt macht, und der uns auch nach Tagen in der Erinnerung noch erfüllt und uns ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Und bitte verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch: Ich möchte keine weitere Norm aufstellen. Davon haben wir schon genug. Ich möchte Sie einladen und verführen, über Ihren Sex zu reflektieren und sich ein paar Fragen zu stellen. Und falls Sie Interesse daran haben, intensiver zu erleben und zu genießen, dann gebe ich Ihnen im nächsten Beitrag ein paar Anregungen und Denkanstöße.

Ich wünsche Ihnen warme Tage, sinnliche Nächte und ein Lächeln im Gesicht.

5 Kommentare
  1. Schnupsipulami
    Schnupsipulami says:

    Ja die warmen Nächte, wenn hier und da hörbar Liebe gemacht wird… das zaubert mir in der Tat gerade ein Lächeln ins Gesicht 🙂

    Von solchen spontanen Anregungen abgesehen: meine Erfahrung aus einer langjährigen, eher pragmatisch geprägten Beziehung ist folgende: ein kleines Ritual, damit 1 x wöchentlich Eros überhaupt landen kann, um seinen Bogen zu spannen, ist sehr hilfreich für die Beziehungsqualität.

    Bei uns ist Sonntags nach dem Mittagessen hierfür ein gemeinsamer „Mittagsschlaf“ vorgesehen. Klappt das terminlich nicht, wissen beide dass ein Ausgleich gefunden werden sollte.

    Nach schmerzhaften Krisen habe ich nämlich die Vermutung, dass da ansonsten ein ganz blöder Teufelskreis existiert, der aus (1) fehlender Befriedigung (2) Frust entstehen lässt, welcher dann (3) die Libido noch weiter senkt… so meine kritische Meinung auch zu den o.g. Umfrageergebnissen…

    Und nun her mit den Anregungen 🙂

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    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Ja, da dürfen Sie sich auf den nächsten Beitrag freuen, und ich habe einen Grund, auch wirklich Antworten zu suchen. Mit dem Teufelskreis haben Sie ganz recht. In langjährigen Beziehungen müssen beide Parter Erotik Raum geben wollen, sonst wird schnell vieles andere wichtiger. Aber mehr dazu in zwei Wochen.
      Herzliche Grüße
      Christiane Jurgelucks

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  2. Schnupsipulami
    Schnupsipulami says:

    Alles OK bei ihnen ???
    Ist ja sonst nicht Ihre Art, F. Rothenberger einen Monat lang schmoren zu lassen… Insofern würde ich, vorausgesetzt es liegen keine unerfreulichen Umstände vor, zu dieser Verhaltensvariation gratulieren (in diesem Fall mit drei Ausrufezeichen), herzliche Grüße

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    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Sie dürfen mir mit drei Ausrufezeichen zur gelungenen Musteränderung gratulieren. Frau Rottenmeier hatte sich tatsächlich in den wohlverdienten Urlaub verabschiedet. Aber seit heute ist sie zurück und hat gleich mal dafür gesorgt, dass der Beitrag rausgeht. Danke für Ihre innere Anteilnahme!
      Herzliche Grüße
      Christiane Jurgelucks

      Antworten
  3. Martin
    Martin says:

    Aus meiner Erfahrung fehlte es durchaus an zärtlichen Momenten, dass Sex in höherer Frequenz entstehen kann. Wobei zärtliche Momente für mich bedeutete, dass ich mich auf neues einlassen musste. War als Mann doch sehr fixiert auf Sex zu haben wollen. Heute entsteht Sex, sobald meine Partnerin und ich uns zeit nehmen uns zu begegnen. und da sind verschiedene Ebenen gemeint…
    Schade, dass ich das nicht schon früher wusste. Das hätte mir viel „Frust & Trauer“ erspart.

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